„Das alles hat mich beeindruckt“

Zehn Jahre war Ivo Furrer Mitglied im Aufsichtsrat der Finanzmarktaufsicht Liechtenstein. Das Gremium ist für die Strategie der Aufsichtsbehörde verantwortlich. Ende Juni läuft seine Amtszeit ab. Wir haben uns mit dem Aufsichtsrat über die grossen Entwicklungslinien in dieser ereignisreichen Zeit unterhalten.

Interview: Beat Krieger

Mitte 2011 hast Du Dein Amt als Aufsichtsrat bei der FMA angetreten. Wenn Du zurückschaust auf diese zehn Jahre, welches waren die grossen strategischen Themen, die den Aufsichtsrat besonders beschäftigt haben?

Ein Thema sticht da besonders hervor, nämlich der Transformationsprozess des Finanzplatzes, ausgelöst durch die Steuerdiskussion. Gleichzeitig befand sich der Finanzsektor wegen der globalen Finanzkrise von 2008/09 am Anfang einer massiven Regulierungswelle. Dieser regelrechte Tsunami hat uns und die Finanzintermediäre über all die Jahre stark gefordert. Ein wichtiges Ziel war für uns die Integration der FMA in globale Aufsichtsorganisationen und das neue System der Europäischen Finanzaufsicht. Stark beschäftigt haben uns auch die Digitalisierung und die Bekämpfung der Geldwäscherei. Das waren alles Herausforderungen, die nur mit kompetenten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zu bewältigen waren. Die Sicherung der Personalressourcen und die Arbeitgeberattraktivität hatten deshalb hohe Priorität.

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 © KEYSTONE/Gaëtan Bally

Das ist ein gehöriges Bündel an Themen. Beginnen wir mit dem Transformationsprozess. Man sagte damals aufgrund der Steuerdiskussion, dass sich der Finanzplatz neu erfinden müsse. Hat er sich neu erfunden?

Er hat zweifellos ganz bedeutende Fortschritte gemacht. Ausgangspunkt war, dass sich Liechtenstein im Jahr 2009 zur Steuerkonformität bekannt hatte. Die Kunden des Finanzplatzes sollten also im Reinen sein mit den Steuergesetzen ihres jeweiligen Wohnsitzlandes. Die Ausrichtung an internationalen Regulierungsstandards hat sich als Pfeiler der Finanzplatzstrategie etabliert. Die FMA forderte zudem eine verstärkte Aufsicht über den Treuhandsektor. Das revidierte Treuhändergesetz war sicher ein mutiger und wichtiger Schritt hin zu einer griffigen Aufsicht, die wir nun etablieren. Doch neu erfunden hat sich der Finanzplatz nicht. Nach wie vor ist Liechtenstein ein Standort für Private Banking und Wealth Management. Er tut dies heute jedoch auf einem hohen professionellen Niveau, konform mit internationalen Standards und auch sehr erfolgreich. Er hat seinen wichtigen Platz im Universum der liechtensteinischen Volkswirtschaft gut behauptet.

Eine grosse Herausforderung für die Finanzintermediäre war die Regulierungswelle nach der globalen Finanzkrise. Der Aufwand, die mittlerweile sehr umfassenden Finanzmarktgesetze einzuhalten, ist massiv gestiegen. Was hat die Regulierungswelle für die FMA und das Land bedeutet?

Ich war immer wieder beeindruckt, wie schnell Liechtenstein als EWR-Mitglied die umfassenden und in hoher Kadenz anfallenden Regulierungen umgesetzt hat. Das ist für ein kleines Land ein besonderer Kraftakt. Für die FMA waren zwei Elemente zentral. Erstens haben wir sehr kompetente Leute gebraucht, die das überhaupt verstanden haben und in der Lage waren, die Regulierungen EU-konform umzusetzen. Zweites Element ist das Datenmanagement, das in jüngster Vergangenheit noch wichtiger geworden ist. Mit der feinmaschigen Regulierung fallen unglaublich hohe Datenmengen an, die wir verarbeiten müssen. Das tun wir mit neusten technologischen Möglichkeiten. Doch dazu mussten wir überhaupt erst einmal in der Lage sein! Auch das erfordert hohe Kompetenzen von den Mitarbeitenden, gerade im digitalen Bereich.

Der Aufsichtsrat hat die Integration der FMA in die globalen Aufsichtsorganisationen und das System der Europäischen Finanzaufsicht stark vorangetrieben. Welches Ziel verfolgte man mit der Integration?

Ziel war die Sicherung des Marktzugangs für die liechtensteinischen Finanzintermediäre zu den ausländischen Märkten. Dieses haben wir mit der international integrierten und anerkannten Aufsichtsbehörde erreicht. Denn die FMA ist ja das Finanzmarktaufsichtsorgan des Landes Liechtenstein, dieses ist über den EWR vollumfänglich in die europäischen Regulierungskonstrukte eingebunden. Das Europäische Finanzaufsichtssystem ist also ganz zentral. Wir haben als nationale Aufsichtsbehörde einerseits die Pflicht, in diesem System mitzuarbeiten und andererseits das Recht dazu. In diesem Verbund gelten für die FMA dieselben Anforderungen an die Ausübung der Aufsicht wie für alle anderen nationale Aufsichtsbehörden in Europa. 

Der Megatrend Digitalisierung hat auch die FMA erfasst. Der Aufsichtsrat hatte bereits im Jahr 2010 eine umfassende IT-Strategie verabschiedet. Über die letzten Jahre hat das Thema stark an Fahrt aufgenommen. Weshalb ist die digitale Transformation für die FMA so wichtig?

Unseren Aufsichtsauftrag können wir nur mit dem Einsatz modernster digitaler Technologien überhaupt noch ausüben. Sie ermöglichen uns, die hohen Datenmengen und gleichzeitig komplexen Daten zu verarbeiten und effizient und wirksam zu beaufsichtigen. Es gibt Prozesse in der Aufsicht, für die wir noch Sekunden statt einige Tage brauchen, und wir sehen Dinge, die erst die rasche und automatisierte Kombination von Daten ermöglicht. Auch den Einsatz von Künstlicher Intelligenz prüfen wir derzeit. Dann sollen digitale Technologien eine effiziente Kommunikation intern in der FMA und mit den beaufsichtigen Finanzintermediären – ich nenne sie ganz bewusst Kunden – sicherstellen. Sie sollen von der Digitalisierung der FMA in Form von Effizienzgewinnen profitieren. Schliesslich muss die FMA digitale Produkte und Geschäftsmodelle verstehen, um dieses digitale Ökosystem wirksam beaufsichtigen zu können, und um optimale Voraussetzungen für den Einsatz digitaler Technologien im Finanzsektor zu schaffen.

Die Sicherung der Personalressourcen war ein wichtiges strategisches Ziel des Aufsichtsrats. Die FMA benötigt zahlreiche Spezialisten für sehr spezifische Aufgaben. Die Hälfte meiner Kolleginnen und Kollegen sind Juristen, ein Drittel sind Spezialisten wie Wirtschaftsprüfer, Bankfachexperten, Ökonomen oder Versicherungsmathematiker. Wie hat man dieses Ziel zu erreichen versucht?

Die FMA muss sich als attraktive Arbeitgeberin präsentieren und gleichzeitig den Erwartungen der Mitarbeitenden gerecht werden. Ersteres erreichen wir mit einem Bündel an gezielten Massnahmen im HR-Marketing. Unser Karriere-Auftritt hat schon internationale Auszeichnungen gewonnen. Für das Zweite muss die Geschäftsleitung sicherstellen, dass die Mitarbeitenden tatsächlich attraktive Arbeitsstellen haben und sich weiterentwickeln können, mit Weiterbildungen zum Beispiel bei ausländischen Aufsichtsbehörden. Grosses Gewicht messen wir auch der Vereinbarkeit von Beruf und Familie bei. Wenn ich schaue, welch hervorragende Spezialistinnen und Spezialisten wir bei der FMA haben, haben wir das Ziel erreicht. Regelmässig werden solche Spezialisten in verantwortungsvolle Positionen bei Finanzintermediären abgeworben.

Vor zwei Jahren hat die FMA die Geldwäschereiprävention mittels einer zentralen Organisationseinheit gestärkt. Welche Bedeutung misst der Aufsichtsrat der Geldwäschereiprävention zu?

Alleine die Schaffung dieser schlagkräftigen Einheit zeigt die hohe Bedeutung auf, die wir der Geldwäschereiprävention zumessen. Jedes Land hat ein hohes Interesse daran, dass sein Finanzplatz nicht für Geldwäscherei missbraucht wird. Geldwäschereifälle schaden dem Ruf des Landes und des Finanzplatzes enorm. Jedes Finanzinstitut weiss heute, wie wichtig es ist, seine Kunden zu kennen und über ein effektives Abwehrsystem zu verfügen. Die FMA hat die Aufgabe, sicherzustellen, dass die Finanzintermediäre so aufgestellt sind, dass sie qualitativ wie auch quantitativ in der Lage sind, die Einschleusung illegal erwirtschafteten Geldes oder von illegal erworbenen Vermögenswerten in den legalen Finanz- und Wirtschaftskreislauf zu verhindern. Das tun wir mit risikobasierten Kontrollen und der konsequenten Verfolgung von Verstössen gegen die Sorgfaltspflichten.

Der Aufsichtsauftrag der FMA hat sich mit den neuen Regulierungen und der Digitalisierung des Finanzsektors in den vergangenen 10 Jahren stark verändert. Wie muss man sich die FMA in zehn Jahren vorstellen?

Die Aufgabe der FMA wird bestimmt nicht einfacher, sondern an Komplexität weiter zunehmen. Und zwar deshalb, weil die Finanzwelt ihrerseits komplexer wird. Komplexe Kundenbedürfnisse werden mit komplexen Lösungen – ganz stark mit digitalen Technologien wie etwa der Blockchain – befriedigt. Das sind die Gegenstände, die wir beaufsichtigen und sehr gut verstehen müssen. Ich denke, die Komplexität wird linear steigen, nicht exponentiell. Kritisch eingestellt bin ich gegenüber der Vorstellung, dass die Real-time-Überwachung der Finanzmarktteilnehmer die Zukunft der Aufsicht sein wird. Das wäre technisch wohl möglich, doch die Frage ist, ob wir dies überhaupt wollen und es sinnvoll wäre. Ich bin der Meinung, dass die Aufsicht in unserem liberalen Wirtschaftsverständnis Grenzen hat. Auch als Bürgerinnen und Bürger wollen wir doch nicht ständig kontrolliert werden. Eine Dauerüberwachung wäre Ausdruck eines Misstrauens gegenüber den Finanzmarktakteuren. Wir wollen vielmehr davon ausgehen, dass sie ihre Arbeit gut und korrekt machen.

Du bist Schweizer und hast Liechtenstein gut kennengelernt. Ein Land, das selbst im Pandemiejahr mit einem Überschuss im Staatshaushalt abgeschlossen hat. Was macht das Land so erfolgreich?

Liechtenstein denkt und handelt in der Kombination von Fürstenhaus und demokratisch organisiertem Kleinstaat unglaublich vorausschauend und über Generationen hinweg. Das Land hat so in der Vergangenheit sehr weise und mutige Entscheidungen getroffen. Ich denke hier an die Integration in Europa mit allen positiven Auswirkungen und der gleichzeitigen Bewahrung der Selbstständigkeit. Die Finanzplatzstrategie ist ein weiteres Beispiel. Kurze Entscheidungswege, Bürgernähe und ein positiv verstandener Pragmatismus sind, so habe ich das erlebt, weitere Ingredienzen des Erfolgs. Das alles hat mich nun zehn Jahre lang beeindruckt.

Herzlichen Dank für das Interview.

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