„Man kann immer etwas dazu lernen“

DDr. Marcel Lötscher leitet bei der FMA den Bereich Wertpapiere und Märkte und ist Mitglied der Geschäftsleitung. Im November 2020 ist seine Dissertation «Prinzipien der katholischen Vermögensanlage. Ethisch-nachhaltige Anlagegrundsätze im Spannungsfeld von Religion und Ökonomie» im Nomos-Verlag erschienen.

Interview (über Skype geführt): Beat Krieger

Herzliche Gratulation zu Deiner zweiten Doktorarbeit, Marcel. Darin steckt eine Menge Arbeit. Was motiviert Dich, wissenschaftlich tätig zu sein?

Danke sehr für die Gratulation! Im Grunde genommen arbeiten wir auch bei der FMA wissenschaftlich. Denn der Begriff wissenschaftlich bedeutet ja einzig, dass man mittels einer bestimmten Vorgehensweise ein definiertes Ziel erreichen will. Bei der FMA gehören zu den Zielen unter anderem der Kundenschutz und die Missbrauchsbekämpfung. Bei mir persönlich ist es so, dass ich neben der eigentlichen Arbeit bei der FMA, die ich mit grosser Freude ausübe, mich auch sehr gerne längerfristigen Projekten, wie eben dieser Publikation widme. Dies bringt Abwechslung zum Tagesgeschäft und der Projektarbeit. All diese Tätigkeiten erfordern ein Interesse und Neugierde und man kann immer etwas dazulernen!

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Deine Dissertation trägt den Titel «Prinzipien der katholischen Vermögensanlage». Was hat Dich dazu bewegt, Dich mit dieser Thematik zu befassen?

Die Motivation lag darin, die auf den ersten Blick ganz unterschiedlichen Themenbereiche, namentlich das Vermögensrecht und die Soziallehre der katholischen Kirche sowie die Grundlagen der nachhaltigen Geldanlagen, im Komplex einer kollektiven Kapitalanlage zusammenzufassen zu können.

Welches war Dein Erkenntnisinteresse?

Ziel war herauszufinden, ob bei Themenfonds mit einer wertebasierten Anlagepolitik vor dem Hintergrund der katholischen Soziallehre auch, wie man so schön sagt, katholisch drin ist, wenn katholisch draufsteht. Grundlage dafür war die Herleitung von einem ethisch-nachhaltigen Anlagegrundsatz mit katholischer Ausrichtung und die Formulierung von konkreten Prüfkriterien. Die empirische Analyse und die Beurteilung von Investmentfonds haben gezeigt, dass nicht alle diese wertebasierten Fonds den eigens aufgestellten Kriterien genügen können. Geprüft habe ich nicht nur glaubensbasierte Merkmale, sondern auch Nachhaltigkeitskriterien und die finanzwirtschaftlichen Kennzahlen. Nachhaltige Vermögensanlagen sind meiner Meinung nach nicht nur ein Trend, sondern auch die Zukunft der Finanzindustrie. Dies, unter anderem auch, um die Ziele der nachhaltigen Entwicklung der UNO zu verwirklichen und den Verpflichtungen aus dem Übereinkommen von Paris gerecht werden zu können. Zu beiden Abkommen hat sich Liechtenstein verpflichtet und die Nachhaltigkeit ist auch in der Finanzplatzstrategie der Regierung festgehalten. Zur konkreten Umsetzung müssen wir aber alle auch persönlich einen Beitrag leisten.

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Was zeichnen denn katholische Vermögensanlagen aus?

Die katholische Vermögensanlage gibt es eigentlich nicht. Es gibt aber Themenfonds, die eine spezifische Veranlagung vor dem Hintergrund eines Entwicklungstrends umsetzen. Katholische Vermögensanlagen sind somit Themenfonds, welche vorgeben, eine Veranlagung auf Basis einer wertebasierten Anlagepolitik vor dem Hintergrund der katholischen Soziallehre vorzunehmen. Als Beispiel eines spezifisch katholischen Kriteriums kann man das generelle Verbot nennen, in Unternehmen zu investieren, die Medikamente oder Produkte entwickeln, die direkt oder indirekt dem Schwangerschaftsabbruch oder der Sterbehilfe dienen können. Es gibt aber noch andere spezifische glaubensbasierte Kriterien, die absolut oder relativ zur eigentlichen Geschäftstätigkeit untersagt werden. Quellen für diese Veranlagungskriterien sind die katholische Soziallehre, aber auch die konkreten Ausführungen im Katechismus der katholischen Kirche in Kombination mit den Vorgaben aus dem Bereich der nachhaltigen Geldanlagen.

Diese ethisch-nachhaltigen Anlagegrundsätze stehen gemäss Deiner Arbeit in einem Spannungsfeld zur Ökonomie. Was ist das für ein Spannungsfeld?

Jegliche Art von Einschränkungen in der Veranlagung, so wie sie auch bei glaubensbasierten Vermögensanlagen durch einen umfangreichen Katalog an Ausschlusskriterien vorliegen, begrenzen das mögliche Anlageuniversum. Auch muss man sich vom ökonomischen Mantra der Renditemaximierung lösen. Die Daseinsberechtigung von Unternehmen geht über das reine ökonomische Gewinnstreben hinaus. Man spricht in diesem Zusammenhang auch von Purpose Finance, dem ganzheitlichen Zweck der Kapitalanlage. Untersuchungen haben zudem gezeigt, dass nachhaltige Kapitalanlagen nicht von vorneherein eine schlechtere Performance aufweisen müssen. Sie sind jedoch anspruchsvoller in der Bewirtschaftung, da neben den gesetzlichen Restriktionen auch ein umfangreicher Katalog an spezifischen Vorgaben erfüllt werden muss.

Muss es zwingend immer ein Spannungsfeld sein zwischen ethisch-nachhaltigen Anlagegrundsätzen und Ökonomie?

Nein, in der Dissertation habe ich aufgezeigt, wie man bei einem ganzheitlichen Ansatz sehr wohl auch diese beiden Pole verbinden kann. Dies geschieht durch eine nachvollziehbare und rechtskonforme Gestaltung der kollektiven Kapitalanlage selbst (Compliance), durch klar festgelegte Regeln beim Zusammenspiel der Parteien (Governance) und durch ein spezifisches Risiko-Management in der Veranlagung (Risk).

Die Anbieter von solchen kollektiven Anlagen resp. Fonds erfüllen mit ihrem Angebot eine wichtige Funktion für Anleger. Ist das richtig?

Ja, auch glaubensbasierte Anlagen entsprechen einem Bedürfnis. Die Privatanleger sind aufgrund der vorherrschenden Informationsasymmetrie kaum in der Lage, den entwickelten ethisch-nachhaltigen Anlagegrundsatz mit katholischer Ausrichtung durch gezielte Einzelinvestitionen realisieren zu können. Dafür steht nun das Instrument der kollektiven Kapitalanlagen, also der Investmentfonds, zur Verfügung. In der professionellen Verwaltung können Skaleneffekte realisiert und wertebasierte Veranlagungskriterien in einem Themenfonds gewährleistet werden. Wir alle leben ja nach gewissen Werten und Normen, die uns seit der Kindheit begleiten und von unserem Umfeld beeinflusst sind. Erfreulicherweise sind die Privatanleger immer mehr bereit, ihre spezifischen Wertvorstellungen auch in einem Investmentfonds abgebildet wissen zu wollen, dies erklärt den Erfolg von glaubensbasierten Vermögensanlagen wie wir ihn beispielsweise im Bereich Islamic Finance jetzt schon sehen können. Sparen heisst ja Konsumverzicht, und wenn man schon heute verzichtet, da soll man doch wissen, dass die Investition morgen noch den eigenen Wertvorstellungen entspricht.

Es gibt ja eine Menge an Themenfonds, also z.B. Fonds, die in erneuerbare Energien investieren. Es gibt auch Fonds, die im Einklang mit der Scharia stehen. Gibt es auch Fonds speziell für Katholiken?

Es gibt solche Fonds, das stimmt. Beispielsweise haben die Franziskaner in Zusammenarbeit mit einem professionellen Vermögensverwalter Fonds lanciert. Auch die vor allem in Deutschland stark verbreiteten Kirchenbanken sind in diesem Bereich aktiv. Es gibt aber im Gegensatz zu diesem überschaubaren Angebot schon eine Vielzahl an islamischen Geldanlagen. Alle wertebasierten Fonds in katholischer Ausrichtung, soweit sie den Kriterien genügen konnten, habe ich in der Dissertation untersucht und beurteilt. Ich halte aber fest, dass es nicht den katholischen Anlagegrundsatz gibt. Ich habe vielmehr einen wertebasierten Anlagegrundsatz vor dem Hintergrund der katholischen Soziallehre definiert, welcher meiner Meinung nach diesen Vorgaben entspricht.

In Deiner Arbeit ist mir der Begriff «Montes Pietatis» aufgefallen. Was steht dahinter?

Die Montes Pietatis, was übersetzt Berge der Barmherzigkeit bedeutet, sind erstmals im fünfzehnten Jahrhundert durch die Franziskaner gegründete Pfandleihanstalten. Das damals noch geltende Zinsverbot hat die Kreativität der Franziskaner gefördert, denn man wollte Personen in Notsituationen nicht Geldverleihern ausliefern, die oft sehr hohe Zinsen verlangten. Also wurde ein Kredit nicht gegen Zins, sondern gegen Entgegennahme eines Pfandes gesprochen. Für die Verwahrung des Pfandes haben die Franziskaner dann eine Entschädigung, quasi als Miete, genommen. Die Franziskaner, welche ja der Armut verpflichtet sind, wurden so zu Kreditexperten im Wirtschaftsleben des Spätmittelalters. Erst die Lockerung des Zinsverbotes durch die katholische Kirche brachte (christliche) Konkurrenz und viele norditalienische Banken, unter anderem auch die heutige Unicredit, haben ihre Wurzeln in einem Montes Pietatis.

Du beschäftigst Dich in Deiner Arbeit auch mit der Nachhaltigkeit des Menschen im Anthropozän, also im Zeitalter des Menschen. Ist Nachhaltigkeit etwas, was die Menschen schon immer beschäftigt hat?  

Ja, die Nachhaltigkeit war sicher immer schon ein Thema, welches den Menschen begleitet hat. Der Deutsche Hans Carl von Carlowitz hat mit seinem Hauptwerk den Begriff der Nachhaltigkeit schon im achtzehnten Jahrhundert geprägt. Kurz ging es darum, eine Lösung für die Energie- und Rohstoffkrise der damaligen Industrie zu finden. Holz und Kohle waren zu dieser Zeit noch die primären Energiequellen und die waren begrenzt, riesige Waldflächen waren bereits abgeholzt worden. Sicherlich hat die industrielle Revolution und die damit einhergehenden kulturellen und politischen Veränderungen die Notwendigkeit der Nachhaltigkeit noch weiter verstärkt. Nachhaltiges Handeln heisst, gemäss einer bekannten Definition, mit einer Verhaltensänderung in der Gegenwart die Verantwortung für die Generationen der Zukunft zu übernehmen.

Wie lässt sich dein Thema religionsbasierter Vermögensanlagen in die Diskussion um die Nachhaltigkeit in der Finanzwirtschaft einordnen? Dort sind ja die ESG-Kriterien Umwelt, Soziales und Governance ausschlaggebend.

Die Vorgaben der katholischen Kirche an die Veranlagung von Vermögenswerten und die Anforderung nach den Kriterien der nachhaltigen Geldanlagen sind nicht komplett deckungsgleich. Vielmehr formulieren sie komplementäre Anforderungen des ethisch-nachhaltigen Investierens nach wertebasierten Kriterien. Unterschiede bestehen vor allem im Bereich der ethikbezogenen Ausschlusskriterien wie den Menschen- und Arbeitsrechten sowie im medizinischen Bereich wie der Stammzellenforschung, Abtreibung oder auch Sterbehilfe. Legt man bei der nachhaltigen Finanzierung die Dimensionen Umwelt (E), Soziales (S) und Governance (G) zugrunde, sind es bei katholischen Vermögensanlagen die ethischen Grundsätze christlicher Wertorientierung, nämlich die Bewahrung der Schöpfung, der Schutz der Menschenwürde und Gerechtigkeit.

Nachhaltigkeit in der Finanzwirtschaft: Ein Thema, mit dem Du Dich persönlich und beruflich gerne und intensiv beschäftigst?

In der FMA haben wir eine bereichsübergreifende Arbeitsgruppe zum Thema Sustainable Finance gegründet. In einem motivierten Team versuchen wir die verschiedenen Strömungen der Regulierung zusammenzubringen, die Umsetzung in Liechtenstein sicherzustellen und Augenmass bei der Anwendung walten zu lassen. Das Schwergewicht liegt derzeit auf der europäischen Taxonomie-Verordnung, welche ein einheitliches europäisches Klassifizierungssystem bringen wird, und der europäischen Offenlegungsverordnung zur Erhöhung der Transparenz.

Du arbeitest als Vertreter der FMA auch in einer Arbeitsgruppe auf europäischer Ebene mit.

Ich freue mich, dass ich Liechtenstein als Observer in der Member States Expert Group zu Sustainable Finance in Brüssel vertreten darf. Vorteil davon ist sicher der Wissensvorsprung und immer wieder die Erkenntnis, dass die gesetzgeberischen Mühlen zwar langsam mahlen, aber äusserst gründlich sind. Die Gesetzgebung in der Schweiz ist prinzipienbasiert, europäisch setzt man auf einen regelbasierten Ansatz, der auch im Bereich Sustainable Finance äusserst umfangreiche Gesetzgebungsakte auf allen Ebenen der Regulierung mit sich bringt und den individuellen Spielraum immer mehr reduziert.

Muss der Staat im Bereich der nachhaltigen Finanzierung Regulierungen schaffen oder könnte er dies nicht einfach den Marktkräften überlassen?

Auch wenn die Privatwirtschaft hier sich selbst überlassen wäre, würde meines Erachtens mit der Zeit das Bedürfnis nach einheitlichen Standards wachsen. Im Bereich der Lebensmittelindustrie hat dies beispielsweise zu einem verwirrenden Wildwuchs von Labels und Gütesiegeln geführt. Auch die wenig verbindlichen Labels im Finanzbereich haben die Vergleichbarkeit der Produkte nicht erleichtert. Damit die verschiedenen Vorgaben nicht zu einer nachhaltigen Verwirrung des Privatanlegers führen, begrüsse ich einheitliche und verbindliche Vorgaben durch den europäischen Gesetzgeber im Rahmen der Taxonomie-Verordnung. So können sich die Intermediäre auch wieder auf die Vermögensverwaltung als Kernkompetenz konzentrieren und müssen sich nicht an zahlreichen und teils widersprüchlichen Labels orientieren.

 

Lötscher, Marcel, Prinzipien der katholischen Vermögensanlage. Ethisch-nachhaltige Anlagegrundsätze im Spannungsfeld von Religion und Ökonomie, Dissertation zur Erlangung der Doktorwürde Philosophie (Dr. phil.) in Wirtschafts- und Sozialgeschichte, Baden-Baden 2020.

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